Festival: Der größte Circle Pit

Eingang des Festivals Rocken am BrockenVon großem Punk bis Süßigkeiten-Rausch ist alles dabei – der dritte Festival-Tag beim Rocken am Brocken 2012.

Eigentlich hört man hier sonst die Vögel zwitschern, im Wald zwischen den Tannen. Rehe grasen, wo sich tatsächlich Fuchs und Hase „Gute Nacht“ sagen. Nichts stört die Ruhe auf dem Feld vor dem Bergpanorama – das ganze Jahr über ein Idyll im Harz. Bis auf diese drei Tage im Juli, da erzittert dieser Hort der Stille unter Drums, Riffs und Basslines. Denn das Festival Rocken am Brocken gastiert vom 26. Juli bis spät nachts zum 28. Juli in diesem naturellen Niemandsland im Harz.

Festival nah an Elend

Rund 3.500 junge Menschen hat das beschauliche Musikspektakel im vergangenen Jahr in die Nähe des Örtchens Elend gelockt. Bei dieser – inzwischen 6. Auflage – dürften es ein paar mehr sein. Doch seinen entspannten Charakter hat das Festival dadurch nicht verloren. Im Gegenteil: Die Veranstalter haben sich noch mehr ins Zeug gelegt, um es den Festivalisten heimelig zu machen. Mainstage und Zirkuszelt-Bühne sind wie üblich vorhanden. Neu ist dagegen eine Hexenhütte, in der Clubsounds aufgelegt werden. Die Reflexionen einer Diskokugel wandern in der zusammengezimmerten Bretterbude umher. Zusammengeschusterte Strohhäufchen am Boden zeugen von den Tanz-Exzessen der letzten Nacht. Gut 20 Meter entfernt von der Hexenhütte ragt die Spitze eines eigenwilligen Tipis in die Luft. Außen mit Tarnnetzen, Lichterketten und Tannenzweigen behängt, wackeln die Nadeln des Geästs nach dem musikalischen Herzschlag im Innern. In diesem Zauberwald betitelten Obdach geht’s bereits am frühen Nachmittag ab.

Auf der Hauptbühne hingegen bemühen sich an diesem zweiten Festivaltag The Mouse Folk dem Publikum, das sich gerade aus dem Schlafsack gepellt hat, die letzten Schlafbröckchen aus dem Augen zu treiben. Der Band The Drakes gelingt das schon eher: Ob es an der kuscheligen Stimmung unter dem Dach des Zirkuszeltes liegt oder dem flotten Indie-Sound des Quartetts, vermag man nicht zu sagen. Sicher hat aber die stimmgewaltige Frontfrau Line, die stellenweise an Gossips Beth Ditto erinnert, einen gehörigen Anteil an der swingenden Masse.

Pop- und Punk-Kultur

Mit weniger Swing, dafür mehr handfestem Punk geht Frau Potz auf der Hauptbühne an den Start. Die 30-minütige Spielzeit der drei Herren entpuppt sich als geheimer Favorit des Nachmittags. Titel wie Ach, Heiner oder Spacegewehr lassen die Körper pogen. Wenn sich Sänger Felix nicht gerade die Wut aus dem schwarzgekleideten Körper schreit, sorgt der blond gelockte Bassist Hauke mit Zitaten der Mädchen-Schreck-Band Tic Tac Toe oder den gestandenen Mannen von Turbostaat für Unterhaltung. Von der punkigen Frau Potz dürfte künftig öfter in den einschlägigen Gazetten zu lesen sein.

Bereits eine längere Bandgeschichte haben Anti-Flag hinter sich. Die Ur-Punker, mit Unterbrechungen einst in den 80ern in Pittsburgh gegründet, bringen sogar eine politische Botschaft mit auf die Bühne. Gegen Rassismus und gegen Krieg sind sie. Recht so! Weiter geht’s mit ihren Zwei-Minuten-Songs, denen teilweise ein markantes Profil fehlt. Da sticht auch das neue Material wie “The new sound“ nicht besonders hervor. Und auch die Drumeinlage in Mitten der Crowd kann nicht davon ablenken. Wenigstens der vermeintlich größte Circle Pit des Festivals sorgt für Spiel und Spaß.

Headliner: Madsen werden sehnsüchtig erwartet

Prägnant auf den brand-neuen Rocken-am-Brocken-T-Shirts ist dagegen Madsen platziert. Die Headliner an diesem letzten Festivaltag werden sehnsüchtig erwartet und spielen in den besten Abendstunden gegen 22 Uhr. Sehr poppig anmutender handgemachter Rock’n’Roll presst sich hier aus den Boxen. Mit Hits wie „Du schreibst Geschichte“ oder „Perfektion“ machte die Combo bereits vor ein paar Sommern von sich reden. Der schelmisch grinsende Frontmann Sebastian Madsen versorgt zusammen mit seinen zwei Brüdern und Bassist Niko die Menge auch mit neuen Titeln wie „Wo es beginnt“ und „Lass die Musik an“. Die sind mit eingängigen Hooklines wie gemacht für eine gute Radio-Rotation. Nach einer guten Stunde Setlist laden „Madsen“ noch zum „Nachtbaden“ ein. Das kommt gut an, zumal die Idee von einem schönen Bad bei den Fans begeistert aufgenommen wird.

Die Berliner Electro-Dance-Rocker von Schluck den Druck übernehmen in diesem Jahr um 0 Uhr die Nachtschicht am Fuße des Berges. Keineswegs unzufrieden scheinen sie damit zu sein. Lockt doch auch ein hoher Zuschlag: ein gut gefüllter Festplatz mit Brockenrockern. Der Song „Es geht noch mehr“ des wie auf Duracell herumspringenden Duos wird zum Credo der Spielzeit. In weite Lottershirts gekleidet beweisen sie ihre Fitness, hechten von links nach rechts, die Bühnenaufbauten werden zum Klettern genutzt. Das Set verfliegt so schnell, dass die Musikanten mit ihrem Superhit „Schoko-Lade“ dem Publikum gleich zweimal den Abend versüßen. Noch im Süßigkeiten-Rausch endet das etwa halbstündige Intermezzo auf der Bühne. „Schluck den Druck“ versprechen die Fortführung der Party gleich im Tannentipi-Zauberwald.

Dort wird gefeiert bis in die Morgenstunden. Erst wenn die Sonne wieder aufgeht, werden die Festivalisten zurück zu ihrem Schlafplatz finden – dort, wo sich Fuchs und Hase „Gute Nacht“ sagen. Die kleinen Waldbewohner werden  nun erst einmal Ruhe haben, bis zum nächsten Jahr.
(Text: Jenny Lepies)

The Mouse Folk
The Drakes
Frau Potz
Anti-Flag
Madsen
Schluck den Druck

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>