Inszenierung “Reise durch die Nacht”

Im Schauspiel Köln hat Katie Mitchell die Erzählung der österreichischen Autorin Friederike Mayröcker für die Bühne umgearbeitet. Herausgekommen ist ein Multimedia-Stück, das man szenisch und als Film anschauen kann.

Wenn spät nachts im Fernsehen die schönsten Bahnstrecken Deutschlands abgefahren werden, sehen nur die Nachteulen und Spätheimkehrer vor den Mattscheiben zu. Die Kamera ist streng auf die Schienen gerichtet. Was im Zug selbst passiert, bleibt verborgen. Anders die Inszenierung “Reise durch die Nacht” in der Halle Kalk. Sie rückt gerade das, was in den Abteilen vorgeht, in den Mittelpunkt. Das Bühnenbild entsprechend: Ein Wagon, dessen Abteile teilweise längs aufgeschnitten sind. Dass das keine spaßige Nachtfahrt wird, sondern eher ein melancholischer Tripp, ist mit dem Auftritt der Hauptfigur (Julia Wieninger) schnell klar. Abwesender Blick, unsichere Bewegungen und ein Notizheft vollgekritzelt mit Erinnerungsfetzen – das sind die charakterlichen Eckpfeiler. Ihr Begleiter Julian hat dagegen alles fest im Griff. Routiniertes Zusammenleben beschreibt ihre Beziehung wohl am besten. Während der Zug von Paris nach Wien tuckert, bahnt sich die Protagonistin ihren Weg durch Fragmente und Szenen aus ihrer Vergangenheit.

Mit angestengtem, fast panischem Blick versucht sie sich an ihren kürzlich verstorbenen Vater zu erinnern: “den armen Pfeiffen-Vater”. Fast verzweifelt kramt sie nach fröhlichen Erinnerungen und bleibt doch immer wieder bei seinen Wutanfällen und Schläge gegenüber der Mutter hängen. Die Erinnerungs-Achterbahn ist definitiv auf Talfahrt. Die Beziehung zu Julian stimmt die Protagonistin auch nicht froh. Eigentlich kennt sie ihn gar nicht, so ihre nüchterne Bilanz. Wer bei dieser Zugfahrt noch einen Lichtblick am Ende der Reise und der Nacht erwartet, wird enttäuscht.

Neben der beklemmenden Geschichte ist vor allem die Umsetzung auf der Bühne eine Meisterleistung. Zunächst einmal kommt den drei bis vier Schauspielern nie ein einziges Wort über die Lippen. Dem inneren Monolog der Hauptfigur verleiht Ruth Marie Kröger ihre Stimme, sie steht in einer Sprecherkabine zwischen den Abteilen. Mit nüchterner, fast emotionsloser Sprache schlägt sie die Brücke zum Innenleben der Protagonistin. Bei der weiteren Inszenierung setzt Katie Mitchell, die die literarische Vorlage von Friederike Mayröcker bearbeitet hat, vor allem auf Videotechnik. Die Abteile werden von Handkameras im Auge behalten. Zwischen Luken und Türspalten klemmen sich die Objektive. Ihnen entgeht kein verängstigter Blick, kein Herumgewälze im Stockbett, keine Flucht auf die Toilette. Übertragen wird alles auf eine weiße Wand oberhalb des Zuges. Die Kameraleute vollführen eine beeindruckende Choreographie für die wechselnden Einstellungen. Für den Zuschauer ergibt sich daraus ein durchgängiger Film, der auf der weißen Wand oben angeschaut werden kann. Unten lassen sich derweil die Abteile und ihre stillen Umbauten beobachten, gewissermaßen das “Making-Of” der Einstellungen in dem Film.

Dieser aufwendig inszenierte Monolog überzeugt vor allem durch seine intelligente Umsetzung. Durch das perfekte Arrangements des stummen Schauspiels, der monotonen Erzählstimme und der Kameralinsen am richtigen Platz ergibt sich eine beeindruckende Ästhetik. Das Motiv der nächtlichen Zugfahrt verleiht dem einspurigen und dadurch festgefahrenen Lebensweg der Protagonistin ein konkretes Bild. Wem das allzu schwermütig und auswegslos erscheint, schaltet am besten wieder “Die schönsten Bahnstrecken Deutschlands” ein. (Foto: Schauspiel Köln/Stephen Cummiskey)
(jl)

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